«Die Natur lehrt einen Geduld»
Evelyne Martinelli hat als neue Leiterin des Botanischen Gartens Grüningen grosse Pläne: Mehr Biodiversität, langfristige Projekte und eine nachhaltige Pflanzenpflege stehen für sie im Zentrum. Im Interview spricht sie über ihre Liebe zur Natur, den Reiz des Experimentierens und ihre Vision für einen Garten, der überrascht, inspiriert und auf die Herausforderungen des Klimawandels vorbereitet ist.

Herzliche Gratulation zu Ihrer Stelle als Leiterin des Botanischen Gartens Grüningen. Worauf freuen Sie sich in Ihrem neuen Job am meisten?
Evelyne Martinelli: Das Schönste an diesem neuen Job ist, dass ich mich voll und ganz einem langfristigen Projekt widmen kann. Das hat mir im Dienstleistungssektor als Bauführerin im Garten- und Landschaftsbau oft gefehlt, da ich dort täglich zwischen verschiedenen Projekten und Aufgaben hin- und herwechselte. Hier hingegen kann ich ein Biotop weiterentwickeln und langfristig planen. Gleichzeitig freue ich mich darauf, mein botanisches Wissen und meine Gestaltungskompetenz mit Pflanzen zu erweitern. Auch der Kontakt mit den Besuchenden, die sich für Pflanzen interessieren und Fragen stellen, ist eine tolle Ausgangslage für diesen Beruf.
Welche Erfahrungen aus Ihrer bisherigen Laufbahn möchten Sie als Leiterin des Botanischen Gartens Grüningen einbringen?
Meine planerischen Fähigkeiten aus dem Garten- und Landschaftsbau werden mir sicherlich helfen, Prozesse zu optimieren und effizient zu gestalten. Mein Schwerpunkt lag schon immer auf Pflanzenwissen und integriertem Pflanzenschutz – also der Förderung und Stärkung von Pflanzen ohne den Einsatz von Chemie. Das ist ein Ansatz, den ich auch hier weiterverfolgen möchte. Zudem bringe ich Erfahrung im Umgang mit Teams mit, was im neuen Arbeitsumfeld ebenfalls von Vorteil sein wird.
Der Botanische Garten ist ein langfristiges Projekt. Wie fühlt es sich an, Pflanzen zu setzen, deren volle Pracht erst in Jahrzehnten sichtbar wird?
Die Natur lehrt einen Geduld. Im klassischen Gartenbau pflanzt man oft bereits grosse Gehölze, die schnell einen Effekt erzielen. Hier hingegen etablieren wir vor allem neue Pflanzen. Das fühlt sich sehr nachhaltig an, da man das eigene Bedürfnis in den Hintergrund stellt und langfristig plant – immer im Sinne des Gartens. Obwohl ich von Natur aus nicht die geduldigste Person bin, habe ich durch die Arbeit mit Pflanzen viel gelernt und geniesse es, langfristige Entwicklungen mitzugestalten. Besonders spannend ist der jährliche Austausch mit anderen Botanischen Gärten: Wir tauschen Saatgut, erhalten Samen und versuchen dann, diese Pflanzen hier zu etablieren. Dieser experimentelle Ansatz macht die Arbeit interessant.
Welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer neuen Rolle setzen – sei es in der Sammlung, der Gestaltung oder der Umweltbildung?
Ein zentraler Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Förderung der Biodiversität. Der Garten verfügt derzeit über einen starken Bestand an Nadelgehölzen, von denen viele Zuchtformen sind. Diese werde ich nicht weiter in den Fokus rücken, sondern vielmehr die Vielfalt im Unterwuchs fördern, vor allem durch Stauden. Sie sind eine wertvolle Nahrungsquelle für Insekten und Bestäuber. Ein schönes Beispiel ist das Wiesenschaumkraut, das dem Aurorafalter als wichtige Futterpflanze dient. Solche gezielten Pflanzungen faszinieren mich besonders. Ebenso wertvoll sind Dornensträucher, die Tieren Nistmöglichkeiten bieten und Vögel im Winter mit Nahrung versorgen. Gleichzeitig reizt es mich, auch einige Exoten zu etablieren – etwa Pflanzen aus der Kapregion oder einen Seidenbaum, der unserem Garten noch fehlt. Solche Arten bieten spannende gestalterische Möglichkeiten und bereichern die bestehende Sammlung.
Wie planen Sie, den Botanischen Garten Grüningen auf die Herausforderungen des Klimawandels vorzubereiten?
Angesichts des Klimawandels muss man sich damit abfinden, dass nicht alles vorhersehbar ist. Dennoch können wir bei der Pflanzenwahl auf widerstandsfähigere Arten setzen, die mit längeren Trockenperioden und höheren Temperaturen besser umgehen können. Sogenannte ‘Klimabäume’ bieten eine interessante Möglichkeit. Bäume also, die besonders robust sind, Frost, Trockenheit und Hitze gut ertragen oder sich gegenüber Wetterextremen wie Stürmen oder stark schwankenden Temperaturen unempfindlich zeigen.
Was macht den Botanischen Garten Grüningen für Sie einzigartig im Vergleich zu anderen Gärten?
Die Topografie und die Lage des Gartens sind einzigartig. Hier im Botanischen Garten Grüningen ist man wirklich mitten in der Natur – ohne Stadtlärm oder Strassenverkehr. Der Arboretum-Charakter mit grossen, alten Bäumen schafft eine angenehme Atmosphäre, insbesondere an heissen Sommertagen. Die Teichanlage und die kühle, schattige Umgebung laden zum Verweilen ein.
Welche Aspekte Ihrer Arbeit bereiten Ihnen persönlich die grösste Freude?
Am meisten Freude bereiten mir die Pflanzen selbst – sie zu beobachten, zu verstehen und das Beste für ihre Entwicklung zu tun. Auch das Gestalten und Umsetzen von Projekten macht mir grossen Spass. Ich schätze es, dass ich hier die strategische Planung mit praktischer Arbeit im Garten verbinden kann. Die Kombination aus Büroarbeit und direkter Gartenarbeit gibt mir ein gutes Gleichgewicht, das mir in meiner vorherigen Tätigkeit oft gefehlt hat.
Wie möchten Sie den Garten weiterentwickeln, um sowohl treue Besucherinnen und Besucher als auch neue Zielgruppen anzusprechen?
Die Grundstruktur des Gartens bleibt erhalten, denn sie ist vertraut und bewährt. Gleichzeitig möchte ich mit neuen Pflanzen und spannenden Themenausstellungen Akzente setzen, um die Besucherinnen und Besucher immer wieder zu überraschen und zu inspirieren. Mit meinen Schwerpunkten wird der Garten sicherlich einen neuen Anstrich erhalten, ohne dabei seinen Charakter zu verlieren.

Wie möchten Sie die jüngere Generation für Pflanzen und Natur begeistern?
Ich glaube, dass wir mit zeitgemässen Themenführungen und anschaulichen Beispielen Interesse wecken können. Es ist wichtig, Zusammenhänge aufzuzeigen und Wissen so zu vermitteln, dass es Neugierde weckt. Wenn wir jungen Menschen die faszinierende Welt der Pflanzen näherbringen, können wir sie vielleicht langfristig für den Naturschutz begeistern.
Was möchten Sie den Menschen mitgeben, wenn sie den Botanischen Garten Grüningen besuchen?
Ich wünsche mir, dass die Menschen bei uns eine tiefe und positive Verbindung zur Natur erleben. Gleichzeitig möchte ich ihnen zeigen, wie sensibel und fragil das Zusammenspiel zwischen Pflanzen und Tieren ist – und welche Verantwortung wir Menschen in diesem Gleichgewicht tragen. Der Botanische Garten soll inspirieren und zugleich konkrete Ideen liefern, wie sich auch der eigene Garten nachhaltig und naturnah gestalten lässt, ohne auf Schönheit verzichten zu müssen.